[Eisfair] Diskussionen wo führen: öffentlich vs. nichtöffentlich
Christoph Schulz
fli4l at kristov.de
Do Feb 18 08:11:17 CET 2016
Hallo!
Alexander Dahl schrieb:
> Die Frage ist, warum man Dinge, die tatsächlich diskutiert werden,
> hinter verschlossenen Türen diskutiert werden, obwohl man sie genauso
> gut öffentlich diskutieren könnte.
Eigentlich kann ich mich gar nicht zu dem Thema äußern, da ich kein eisfair-
Entwickler bin. Aus dem, was ich aber bislang zu dem Thema gehört und
gelesen habe, ziehe ich jedoch den Schluss, dass im eisfair-Projekt einer
bestimmten Eigenschaft keine besonders hohe Priorität zugewiesen wird: der
Nachvollziehbarkeit. Dieser Aspekt bildet zwar nur einen Teil der
Argumentation von Alex, mir als Entwickler ist er in diesem Zusammenhang
jedoch der bedeutendste.
Ich bin ein großer Freund von Nachvollziehbarkeit. Seit Jahren arbeite ich
beim fli4l-Projekt mehr oder weniger unermüdlich daran, dass alles
nachvollziehbar wird. Sei es, dass die Binärprogramme alle von *jedem*
Entwickler "da draußen" gebaut werden können und exakt denen in den
offiziellen Paketen gleichen (Reproduzierbarkeit; ein Ziel, das aus
technischen Gründen nur zu 95% erreicht wurde). Sei es, dass jeder Commit
bei fli4l nachvollziehbar einem oder mehreren Tickets zugeordnet ist und
somit hinter jedem Commit nachvollziehbar ein Anwendungsfall, eine
Fehlerkorrektur, ein Update oder ein technisch motivierter Umbau steht. Sei
es, dass wir jeden NG/IRC-Nutzer dazu bewegen, für erkannte Probleme ein
Ticket zu eröffnen (was nicht heißt, dass Layer-8-Probleme nicht regelmäßig
auf kurzem Dienstweg per Chat aus dem Weg geräumt werden).
Dies hat unglaublich viele Vorteile. Wenn ein Fehler auftaucht, kann man
genau nachvollziehen, wie dieser entstanden ist und was der motivierende
Anwendungsfall für die (potentiell fehlerhafte) Änderung war. Mit Hilfe
einer detaillierten Commit-Meldung kann auch die einzelne Änderung an sich
nachvollzogen werden. Durch die Selbstverpflichtung, keine Commits ohne
Tickets zu erlauben, gibt es auch keine "unmotivierten" Commits, bei denen
man sich fragen muss, wieso weshalb warum das Ganze. Changelogs werden bei
fli4l automatisiert aus den Tickets generiert, die einer bestimmten Version
zugeordnet werden, da alle benötigten Informationen in den Tickets stecken.
Gerade das fehlende bzw. kaum genutzte Bug-Tracking-System unter eisfair hat
Auswirkungen auf die Kommunikation, besonders zwischen Nutzer und
Entwickler, aber auch zwischen den Entwicklern untereinander, denn es führt
zwangsläufig dazu, dass Diskussionen zu einem Problem dem finalen Bugfix
oder Feature auf der ML oder in der NG geführt und damit den Code-Änderungen
nicht vernünftig zugeordnet werden können. Einzig durch den zeitlichen
Zusammenhang ist es evtl. möglich, nach mehreren Jahren noch nachvollziehen
zu können, warum eine Code-Änderung vorgenommen wurde -- wenn die Diskussion
noch in irgendeinem Archiv steht und öffentlich ist. (Das fli4l-dev-Archiv
ist beispielsweise nur intern, und geht auch nur bis Februar 2005.) Wenn die
Diskussion dann auch noch auf einer nicht öffentlichen ML stattfindet, kann
man die Nachvollziehbarkeit vergessen.
Hinzu kommen noch Besonderheiten wie das teilweise intransparente und nicht
reproduzierbare Bauen von Programmen und/oder Kernel, was die
Nachvollziehbarkeit erschwert bzw. unmöglich macht (das war zumindest so,
als ich das letzte Mal davon hörte, und das ist schon ein, zwei Jahre her --
eventuell/hoffentlich ist dies inzwischen anders geworden).
Klar, wenn die Paket-Maintainer sich nie ändern, jahrelang die Pakete
weiterentwickeln und über alles auch ohne Werkzeugunterstützung ins letzte
Detail Bescheid wissen, dann braucht man das alles nicht unbedingt. Das mag
bei eisfair so sein, bei anderen Projekten ist dies jedenfalls nicht so --
und auch bei eisfair wird es nicht auf ewig so weitergehen können, denn wir
leben alle nicht ewig ;-) Und deshalb ist es in meinen Augen von Vorteil,
Diskussionen so zu führen, dass man verstehen kann, warum sich ein Projekt
wann wie weiterentwickelt hat. Und das kann man auch öffentlich machen, da
bin ich mit Alex einer Meinung.
Ach ja, bevor jemand darauf hinweist: Natürlich ist mir bewusst, dass auch
beim fli4l-Projekt nicht alles öffentlich diskutiert wird. Die dev-ML ist
auch hier nicht öffentlich. Und das hat (natürlich) hauptsächlich
historische Gründe. Ob und wenn ja, wann man die MLs öffentlich macht,
sollte auch bei fli4l mal diskutiert werden. Das nächste Entwicklertreffen
wäre ein geeignetes Forum hierfür, scheint mir.
Viele Grüße,
--
Christoph Schulz
[fli4l-Team]
Mehr Informationen über die Mailingliste Eisfair